Thursday, January 14, 2010

Estrich auf die feine englische Art

„Natürlich machen wir auch Estrich in England, aber gibt es dort keine Fachfirmen vor Ort, die dies preisgünstiger ausführen können?“ Das waren ungefähr meine Worte, als uns ein befreundetes Architekturbüro anrief, um zu fragen, ob wir bereit wären, schwimmenden Estrich in einem Waren-verteilerzentrum in Swindon (bei Bristol) zu verlegen. Der Kunde war Aldi England und auf unsere Frage hin, teilte man uns mit, dass die Estrichleistungen beim Vorprojekt nicht zur Zufriedenheit des Kunden ausgeführt worden seien. Umfangreiche Flächen mussten wieder ausgebaut werden und es kam zu Zeitverzögerungen, verbunden mit hohen Kosten. Im Rückblick glaube ich, dass es in England leicht ist, eine Fachfirma für den Betoneinbau zu finden, man sich jedoch schwer tut, eine solche für den Einbau von schwimmendem Estrich auf Dämmung aufzutreiben. Dies mag daran liegen, dass es in England kein vergleichbares Ausbildungssystem wie in Deutschland gibt. ‚Facharbeiter’, welche heute Estrich einbauen, haben oft vor ein paar Tagen noch als LKW-Fahrer, oder als Bäcker gearbeitet.

Ich erklärte mich damals bereit, ein Angebot für dieses Objekt zu erarbeiten. Nachdem ich neben Deutsch auch Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch spreche, ging ich davon aus, bei diesem Objekt nicht auf sprachliche Barrieren zu stoßen. Die Angebotsbearbeitung war jedoch viel komplizierter als ich mir dies vorgestellt hatte. Es waren steuerliche Aspekte zu klären, wie z.B. die Frage, ob man an einen ausländischen Kunden die Mehrwertsteuer berechnet, wenn das Gewerk in England verbleibt. Weiterhin ergab sich die Schwierigkeit, dass wir beim Wareneinkauf in Eng-land die Mehrwertsteuer zwar bezahlen müssten, jedoch diese nur in einem äußerst komplizierten Verfahren zurückbekommen würden. Weiterhin ergaben sich Fragen zur Haftpflichtversicherung, zur Krankenversicherung der Mitarbeiter, zu dem Transport des LKW’s, der Pumpe und der Mate-rialien an die Baustelle in England. Viele Großhändler, bei denen wir die Leistung anfragten, waren entweder nicht willens oder nicht in der Lage, die Materialien per Spedition nach England zu verbringen. Diese und eine ganze Reihe anderer Unsicherheiten begleiteten mich, als ich mit ei-nem flauen Gefühl in der Magengegend das Angebot abgab. Es war realistisch kalkuliert, jedoch natürlich mit einem Aufschlag für die Tätigkeiten im Ausland. Danach hörte ich erstmal ein halbes Jahr nichts mehr. Ich hatte die Angelegenheit schon fast ‚ad acta’ gelegt, als mir mein Ansprech-partner aus dem Architekturbüro mitteilte, dass man in der Zwischenzeit die Leistung etwas modifi-ziert habe und man mir ein neues Leistungsverzeichnis (natürlich auf Englisch) übersenden würde. Beim Ausfüllen des mit englischen Fachbegriffen gespickten Leistungsverzeichnisses half mir die Tatsache, dass ich meine estrichspezifische Dissertation auf Englisch verfasst hatte. Auf unser Angebot hin wurde ich relativ kurzfristig zu einem Vergabetermin vor Ort nach Swindon eingela-den. Nachdem die Arbeiten bei Vergabe an uns kurzfristig beginnen sollten, reiste ich mit einem Laser im Gepäck an. In London mietete ich einen Wagen und kämpfte zunächst einmal mit den in England üblichen Linksverkehr. Gerade bei den dort sehr beliebten Kreisverkehren ist es jedes Mal eine Herausforderung, auch wieder auf der richtigen Seite auszufahren. In Swindon gab es sogar ein ‚Magic Roundabout’, das aus einem großen Kreisverkehr in der Mitte und fünf kleineren, ring-förmig um den inneren Kreisverkehr angeordneten, weiteren Kreisverkehren besteht. Da kommt man als Fahrer durchaus ins Schwitzen! Am nächsten Tag wurde ich mir mit den Verantwortlichen von Aldi England im Zuge des Verhandlungsgespräches relativ bald einig. Um die Währungsprob-lematik auszuschalten, offerierte man mir, in Euro (statt in engl. Pfund) auszuzahlen und als Um-rechnungskurs den Satz am Vergabetag zu verwenden. Dies sollte sich im Nachhinein als eine günstige Lösung für uns herausstellen, da das Pfund im Zuge der Baustellenabwicklung deutlich an Wert gegenüber dem Euro verlor und wir sonst 15-20% weniger Vergütung erhalten hätten. Wer also solche Objekte angeht, dem kann ich diese Vorgehensweise nur empfehlen.

In England darf man kurzfristig nur dann handwerklich tätig werden, wenn man vorher general-planmäßig festgelegt hat, welche Risiken im Zuge der Ausführung der Arbeiten entstehen, wie man entsprechend vorbeugt und was man tut, wenn es doch zu einem Unfall kommt. Verlangt wurde ein umfangreiches Traktat mit ca. 50 Seiten und alles natürlich auf Englisch. Außerdem soll-ten sämtliche Datenblätter zu den einzubauenden Produkten von uns geliefert werden und da stell-ten wir zum ersten Mal fest, dass selbst renommierte deutsche Hersteller nicht über Datenblätter in englischer Sprache verfügen. Manche Hersteller erklärten auf Anfrage, sie lieferten exklusiv für den deutschsprachigen Markt und wenn man eine englische Übersetzung benötigen würde, so müsse man eben eine solche selbst anfertigen. So viel zum Thema: ‚Der Kunde ist König!’. Nach-dem alle notwendigen Unterlagen in aufwändiger Kleinarbeit beschafft worden waren, konnten die Arbeiten beginnen. Bei der Unterbringung unserer Kolonne stellten wir fest, dass es in England sehr teuer ist, selbst einfache Übernachtungsmöglichkeiten anzumieten. Auf der Baustelle selbst galten rigide Sicherheitsbestimmungen: Zutritt war nur nach erfolgter Sicherheitseinweisung mit einem entsprechenden Ausweis möglich. Kontrolliert wurde dies durch einen Sicherheitsdienst. Auch die Bauleiter mussten im gesamten Baustellenbereich zu jeder Zeit Helm, Warnweste und Sicherheitsschuhe tragen. Man kann sich vorstellen, wie begeistert die Estrichleger über diese Regelung waren. Wer schon einmal versucht hat, Estrich mit Helm und Sicherheitsschuhen zu verlegen, der weiß, wovon ich rede. Interessant war, dass im gesamten Baustellenbereich nichts gegessen, nichts getrunken und nicht geraucht werden durfte. Auf diese Weise wollte sich der Bauherr die Schwierigkeit des zusätzlichen Mülls ersparen. In jedem Baustellenabschnitt befanden sich Feuermelde- und Löschstationen, die vom ständig anwesenden Sicherheitsbeauftragten arg-wöhnisch überwacht wurden. Die deutschsprachigen Firmen konnten es sich manchmal allerdings nicht verkneifen, ihre kleinen Scherze mit dem Sicherheitsbeauftragten zu treiben. Als ich gemein-sam mit ihm eine Begehung durchführte, stellte er plötzlich fest, dass eine seiner geliebten Feuer-löschstationen in einem Baustellenbereich verschwunden war und rief empört aus: „Bloody hell! They stole my firestation!"

Ein großes Problem war die Tatsache, dass in England nur die Verwendung von elektrischen Ge-räten mit 110 Volt Spannung erlaubt ist. Man kann allerdings selbst unter Verwendung von Adap-tern ohnehin kein elektrisches Gerät mit 220 Volt betreiben, da es nicht die gewohnte Leistung erbringen würde.

Die meisten Probleme hatten wir allerdings mit dem in England verfügbaren Sand. Die dort anzu-treffenden Gesteinskörnungen sind in der Regel viel zu fein, um damit einen vernünftigen Estrich zu erstellen. Ich traf mich für die Abwicklung der Baustelle mit einer ganzen Reihe von Sandliefe-ranten und einer brachte mir schließlich einen Marinesand als Muster mit einer Unmenge von klei-nen Muscheln. Als ich ihm sagte, dass wir den Sand in einer größeren Körnung benötigen würden, sagte er mir, dies wäre leicht zu lösen: „Er bräuchte nur mehr Muscheln beimischen!“ Wir behalfen uns schließlich mit einer Mischung aus gröberen Gesteinskörnungen und den feineren Sanden.

Nachdem wir alle anderen Materialien bis auf den Sand aus Deutschland anlieferten, lief die Ver-legung der Estriche unter Berücksichtigung der üblichen Baustellenschwierigkeiten zufriedenstel-lend. Wer sich auf Auslandsbaustellen einlässt, der sollte sich im Vorherein darüber klar sein, wel-che Aufgabenstellungen ihn im spezifischen Fall erwarten. Die notwendige sprachliche Bewälti-gung ist fast schon das kleinere Problem. Für Fragen, welche Bauleitung, Gutachten oder Ausfüh-rungen im Ausland betreffen, stehe ich den Lesern gerne zur Verfügung.

An einem Abend wollte ich unserer wackeren Kolonne etwas Gutes tun und sie zum Essen in ein typisch englisches Pub einladen. Wir begaben uns also in ein solches Lokal, welches sich vom optischen Eindruck her in den letzten Jahrhunderten wohl kaum verändert hatte. Wir betraten den mit Bierdunst gefüllten, dunklen Raum und schlugen die Karte auf. Empfehlung des englischen Chefkochs: Tagliatelle alla Veneziana! Dann doch lieber fish and chips!

Dr. Alexander Unger




Feuerlöschstationen auf der Baustelle

Foto: Dr. Alexander Unger



Warnhinweise auf der Baustelle
Foto: Dr. Alexander Unger






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